© www.weser-kurier.de 30.7.2008
Bachs h-Moll-Messe in Wien uraufgeführt?

BREMEN. Zahlreiche Legenden ranken sich um die h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach (1685 - 1750). Erst jetzt gelang es einem deutschen Musikwissenschaftler, Licht ins Dunkel zu bringen.

Die Frage, warum der protestantische Komponist gegen Lebensende das vollständige lateinische Mess-Ordinarium vertonte und zu welchem konkreten Anlass das Werk entstand, hat Generationen von Musikforschern beschäftigt. Bisher gab die Quellenlage darüber keinerlei Aufschluss. Im November 2007 fand in Belfast (Irland) der Kongress "Understanding Bach's b minor Mass" statt. Als Dr. Michael Maul vom Leipziger Bach-Archiv dort seine Forschungsergebnisse erstmals vorstellte, muss ein Raunen durch die Reihen seiner Kollegen gegangen sein: Insbesondere aufgrund bisher unbekannter Dokumente aus verschiedenen systematisch durchforschten Archiven konnte Maul die bisher unbekannten Entstehungshintergründe aufklären. Seine Funde sollen nun im kommenden Bach-Jahrbuch publiziert werden, der renommiertesten Schriftenreihe der Bach-Forschung.

Die Geschichte der h-Moll Messe begann 1747, kurz nach Bachs Besuch am Hofe Friederichs des Großen in Potsdam. Zeitungen in ganz Europa berichteten davon; zum ersten und letzten Mal in seinem Leben wurde Bach zum "Weltstar". Auch der böhmische Graf Johann Adam von Questenberg wurde dadurch aufmerksam. Er gehörte einer privaten Gesellschaft adeliger Wiener Musikliebhaber an, die sich auf die Schutzheilige der Musik, die heilige Caecilia, beriefen. An ihrem Feiertag veranstaltete dieser Kreis alljährlich eine feierliche Messe.

Zu diesem Anlass gab Questenburg bei Bach eine Missa Solemnis in Auftrag, die am 22. November 1749 im Wiener Stephansdom wohl unter Leitung des Domkapellmeisters Johann Edler von Reutter uraufgeführt wurde - übrigens nur wenige Tage, nachdem ein Sängerknabe namens Joseph Haydn seinen Hinauswurf aus dem Chor provoziert hatte, indem er einem Mitschüler den Zopf abschnitt.

In Folge der sensationellen Entdeckung hat außerdem der Dirigent Ton Koopman die damalige Darbietungsform der h-Moll-Messe rekonstruiert. Mit seinem Ensemble Amsterdam Baroque geht er damit im Oktober auf Europa-Tournee: "Hierbei werden Bachs mehrstimmige Vertonungen des Ordinarium mit gregorianischen Gesängen ergänzt, und zwar aus dem Proprium zum Fest der heiligen Caecilia," teilt Koopman mit. "Wir verwenden dazu Gesänge aus einem Graduale, das vor 1750 in Wien in Gebrauch war."

Die Zusammenstellung besorgte der Benediktinermönch und Gregorianik-Experte Cornelis Poederoyen. "Es ist meine feste Überzeugung, dass die enorme Wirkung von Bachs mehrstimmiger Musik durch den Kontrast mit der einstimmigen Gregrorianik noch verstärkt wird," so Koopman. Die Tournee endet mit einem Konzert am 18. Oktober in Wien.

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